Seit ich die Band vor ungefähr 2 Jahren auf YouTube entdeckt hatte, wartete ich Sehnsüchtig auf die Gelegenheit, sie endlich mal live zu sehen. Ihr Ruf auf den Bühnen dieser Welt eilt ihnen nämlich voraus. Heute ist es endlich soweit und ich sollte nicht enttäuscht werden.
Die Große Freiheit 36 ist wohl einer der berühmtesten Clubs in Deutschland, schon die Beatles haben hier zu ihren Anfangszeiten gespielt. Ein legendärer Club, der seit Corona leider mit einem enormen Imageschaden zu kämpfen hat.
Während der Pandemie outete sich der alte Betreiber, mit entsprechenden Statements und Anti-Corona-Maßnahmen-Plakatierung in seinen Clubs Große Freiheit und Docks, als Querdenker und Sympathisant von QAnon. In der Folge distanzierten sich alle große Konzert-Agenturen klar und deutlich von dem Club. Dadurch wurden fast alle nach der Pandemie nachzuholenden Konzerte in anderen Hamburger Clubs wie zum Beispiel das „Übel und Gefährlich“ verlegt.
Ein Verständlicher Schritt, es war allerdings sehr schade um diese schöne Location.
Im Spätsommer 2022 übernahm, in Person von Benny Dianat, dann ein neuer Betreiber die Große Freiheit 36. Dieser stellte sich in seinem ersten Statement klar gegen Rechts, Homophobie und die kruden Corona-Thesen seines Vorgängers. Zugleich wollte er sich mit dem Club von nun an wieder für Diversität und Inklusion einsetzen. Daraufhin weitestgehend rehabilitiert, spielen inzwischen wieder regelmäßig all die großen Namen, die vor Corona auch dort gespielt haben.
Trotzdem bleibt für mich ein gewissen Skepsis, ob nun wirklich alles anders ist als vorher. Im Netz beschweren sich viele Besucher noch immer über rüde Türsteher oder die Garderobe. Alles alte Probleme, die mir als Hamburger noch von früher gut bekannt sind. Nichtsdestotrotz habe ich hier fast alle meine ersten großen Club-Konzerte gesehen und es geliebt! Mir fehlte damals aber bei den beschriebenen Problemen der Vergleich. Umso begeisterter war ich dann später über die gute Organisation und die Freundlichkeit des Personal, in eben solchen Läden, wie dem „Übel und Gefährlich“
Mein erster Eindruck bei unserer Ankunft ist positiv. Die Türsteher sind völlig okay und die Garderobe unten im Kaiserkeller zwar wie immer etwas trubelig, aber es geht doch relativ schnell.
Der Laden selbst ist, in meinen Augen, immer noch genauso wunderschön, wie eh und je. Es gibt eine große Tanzfläche und eine sehr schicke Tribüne. Natürlich sieht man auch ein bisschen den Zahn der Zeit, dieser macht aber auch den Charme von so alteingesessen Läden aus. Wenn ich die Location äußerlich beschreiben müsste, würde ich den Vergleich zu dem inneren von einem Schiff ziehen wollen.
Nun geht es los mit dem spannenden Duo Party Dozen aus Sydney. Kirsty Tickle spielt Saxophon und Jonathan Boulet sitzt am Schlagzeug. Ihr Musik beschreiben sie als Noise Rock.
So etwas in der Form habe ich zumindest noch nie live gesehen oder gehört. Die Musik ist fast nur instrumental, schnell und aggressiv. Ab und zu singt Kirsty in ihr Saxophon hinein, das sind dann aber eher Geräusche als Wörter, zumindest hat man live den Eindruck. Dazu gibt es noch elektronische Elemente vom Band.
Auf jeden Fall ein total magischer und faszinierender Auftritt.
Besonders das Saxophon-Spiel von Kirsty klingt echt fantastisch, gepaart mit dieser wilden Mischung von „musikalischen Tönen“. Mit The Big Man Upstairs haben sie bereits ihr viertes Studio-Album veröffentlicht und in ihren Musikvideos wird teilweise australische Geschichte thematisiert. Eine Band, die man auf dem Schirm behalten sollte und die der guten Amyl vermutlich genauso gut gefällt wie mir. Immer schön zu sehen, wenn Bands aus der gleichen Area sich unterstützen.
Da nach dem Konzert noch eine Disco Party stattfinden soll, entern bereits gegen 20 Uhr Amyl and The Sniffers die Bühne. Schon nach wenige Sekunden verwandelt sich die Große Freiheit in eine wogende Pogo-Masse, auch wenn die ersten beiden Songs eher ruhiger sind. Amy springt hin und her wie auf Speed, sie gestikuliert, schreit und strahlt. Es ist ein wahre Freude ihr zuzuschauen. Die Musik ist sehr schnell und kokettiert teilweise schon mit Hardcore Sound. Die Texte sind oft sehr wütend, teilweise lustig und neuerdings sogar teilweise melancholisch. Thematisch ist es, in klassischer Punk Manier, stets ein Mittelfinger der Verweigerung an das Establishment und Spießbürgertum. Zudem geht es viel ums anders sein, die Musik ist aber für meine Begriffe auch sehr empowernd aus weiblicher Sicht. Im übertragenen Sinne sagt Amy zu Arschlöchern nicht „Fass mich bitte nicht an“, sie sagt „Wenn du mich anfassen solltest, hau ich dir aufs Maul“.
Es gibt auch gleich zu Beginn die klare Aussage von ihr, dass wir aufeinander aufpassen und niemanden unsittlich anfassen sollen der/die das nicht möchte. Eigentlich traurig, dass Künstler dies immer wieder erwähnen müssen. Wenn ich mir allerdings die Typen um mich herum so anschaue, leider durchaus notwendig. Viele der Frauen, die zu Anfang noch im vorderen Bereich stehen, gehen relativ schnell nach hinten. Das finde ich, bei aller Freude am Pogo, immer wieder sehr schade, gerade bei einem feministischen Konzert wie heute. Dieses mal sind es auch keine Frauen, die nicht wussten was kommen würde. Alle Damen um mich herum wollen tanzen und pogen, aber die Rücksichtlosigkeit mancher Leute ist heute wieder echt bitter anzusehen. Es mag an diesem Tag auch daran liegen, dass viele der Leute um mich herum ziemlich besoffen sind, zudem ist der Laden für mein Gefühl restlos überfüllt. Zum Glück trotzen einige Damen den Typen und haben augenscheinlich genauso großen Spaß wie wir. Im weiteren Verlauf wird das allgemeine Miteinander dann auch etwas besser, doch eine leichte Enttäuschung bleibt. Das habe ich bei vergleichbaren Konzerten schon viel besser gesehen.
Im Laufe der Show beschert uns das neue Album dann allerdings einen sehr ruhigen und schönen Moment mit der Ballade Big Dreams. Da zeigt sich, wie sanft Amys Stimme sein kann und wie tiefgründig ihre Texte, besonders auf dem kürzlich neu erschienenen Album Cartoon Darkness, geworden sind. An dieser Stelle eine absolute Empfehlung für diesen Tonträger, von meiner Seite. Auch musikalisch hat sich die Band deutlich weiterentwickelt. War sie auf den ersten beiden Alben für meine Geschmack noch eher Begleitmusik für Amys „Schimpftiraden“, wirkt sie nun schon viel ausgereifter und eben musikalisch hochwertiger.
Trotzdem ist die Band ohne ihre Sängerin einfach nicht denkbar. Diese wunderbare „Fuck You“-Attitude von ihr erinnert an die Anfangstage von Punk. Die markante, rotzige Stimme und der Melbourne-Dialekt, der so herrlich prollig klingt. Da hat sie sich grade mal wieder auf Songlänge 3 Minuten ausgekotzt und strahlt einen dann an, wie wenn sie grade eine Erleuchtung gehabt hätte. Allgemein merkt man der ganzen Band den Spaß an der Sache extrem an und da ist keinerlei „Dienst nach Vorschrift“ zu erkennen.
Es werden fast alle großen Hits gespielt. Von Got You vom erstes Album bis zu Jerkin des neues Albums, lediglich Gacked on Anger wird nicht gespielt. Die Akustik ist leider nicht so gut an diesem Abend und oft erkennt man den Song erst, wenn Amy anfängt zu singen. Aber man ist auch gut damit beschäftigt, in der Mitte zu „überleben“. So richtig eskaliert es dann nochmal bei dem Song Hertz vom zweiten Album Comfort for me. Das ist aber auch echt ein Knaller Song – vor allem live.
Nach ca. 75 Minuten verlässt die Band die Bühne und kommt anschließend nochmal für zwei Songs zurück. Bei der Zugabe macht Amy dann noch Stage Diving und lässt endgültig jedes Herz im Saal höher schlagen. Da kann man in Sachen Dauer und Entertainment, bei einem Preis von 35 Euro, echt nicht meckern. Nicht zuletzt weil beide Bands aus Australien angereist sind und zurzeit durch ganz Europa touren.
Nach Ende der Konzerte herrscht seit jeher immer ein gewisses Chaos in der „Freiheit“
Ausgang, Merchstand und Garderobe sind alle in eine Richtung, insofern ist es ratsam, sich direkt nach „Abpfiff“ auf den Weg zu machen. Nicht zuletzt, weil man aus dem Hauptraum in der Regel sowieso schnell vertrieben wird, denn die Disco Nacht steht schließlich vor der Tür und der Rubel muss rollen. Aber gut, als langjähriger Besucher dieser Location weiß man das ja vorher schon. Trotzdem bin ich an diesem Abend mit der Große Freiheit 36 soweit zufrieden, das Personal war freundlich und meine Jacke bekomme ich nach einer knappen halben Stunde wieder. Man hat in der Vergangenheit auch schon mal eine Stunde gewartet, bis man seine Sachen von der Garderobe bekam. Alles in allem war das ein tolles Konzert, in einer der schönsten Locations, die ich kenne. Die Band und die Fans haben wirklich alles gegeben und beim Gedanken an Amy kommt mir ein breites Grinsen über die Lippen, auf meiner Fahrt in der S-Bahn.
Für mich ist sicher: Amyl and The Sniffers – jederzeit wieder!