Logo von Freunde des Punk. Ein Totenkopf mit grünem Iro, von Stacheldraht umrandet

Iggy Pop in Hamburg

am Montag, den 16ten Juni 2025 geht es in den Hamburger Stadtpark, um eine wahre Legende zu sehen!

Ich kann es dieser Tage supergut verstehen. Erst freut man sich, dass so ein Name wie Iggy Pop in deine Stadt kommt. Dann sieht man den Preis und geht sofort in eine Abwehrhaltung. Gerade bei Künstlern, denen man einen „sozialen Anspruch“ zuschreibt (bzw. zuschreiben möchte). Allerdings muss man einfach konstatieren, dass die Preise für Konzerte genauso steigen, wie alles andere zurzeit. Insofern muss man am Ende selbst für sich entscheiden: „Was ist finanziell möglich für mich?“ und „Für wen bin ich bereit, viel Geld auf den Tisch zu legen?“.

Hinsichtlich des heutigen Abends hatte ich eigentlich schon beschlossen, mir den Spaß nicht zu leisten. Schon alleine aufgrund dessen, dass ich bis auf die allseits bekannten Gassenhauer wie „The Passenger“ eigentlich nichts von ihm so richtig kenne. In seine alte Band „The Stooges“ hatte man mal reingehört und das Ganze doch als etwas anstrengend und befremdlich abgeschrieben; in meinem jungen Kopf.

Dann standen in den Tagen vorm Konzert aber gerade mal ein paar Taler zur Verfügung und die Wettervorhersage war gut. Also – einfach sich mal etwas belesen über den Mann. Irgendwie sagen sehr viele „Den muss man unbedingt mal live gesehen haben“.
Nun kam der Gedanke „Vielleicht ist es die letzte Chance“. Iggy Pop ist inzwischen 78 Jahre und war seinerzeit nie ein Kind von Traurigkeit, was Alkohol und gewisse Substanzen angeht.

Ein Blick auf die Homepage eröffnet mir, dass das Konzert bereits ausverkauft ist. „Na gut, dann halt nicht“. Naja, ein spontaner Blick in Kleinanzeigen wird ja wohl noch erlaubt sein. Siehe da, es werden doch noch Tickets angeboten. In einem Moment der Unvernunft dann einfach mit einem Typen geschrieben und eine Übergabe vor Ort, in Sachen Geld und Ticket vereinbart.

Nun ist der Montag gekommen und ich stehe im wunderschönen Hamburger Stadtpark. Einziges Problem – der Ticketmensch ist zunächst nicht zu finden. „Am Inneneingang neben dem Bierstand“, hat er gesagt. Es gibt keinen Bierstand. Ich sehe mich schon wieder nach Hause fahren. Am Ende finden wir uns – durch die zuvor digital angekündigte Kleiderwahl – einige Minuten später dann doch. Er mit seinem St. Pauli Shirt, ich mit meinem Rebellion Festival Shirt.

Gegen 18:50 Uhr betrete ich das „Infield“ der Open Air Bühne.

Hier ist keine falsche Bescheidenheit angebracht: Es ist die wohl schönste Open Air Bühne die ich kenne. Dieses Jahr ist 50-jähriges (Konzerte) Jubiläum. Das Wetter strahlt auch wie angesagt.

Um 19 Uhr soll schon die Vorband beginnen. Aber gefühlt alle stehen in riesigen Schlangen an den Bierständen. Diese befinden sich ganz hinten im Areal. Also schnell nach vorne. Ich schaffe es in die dritte Reihe, leicht rechts und kann das Letzte Gitter vor der Bühne fast schon berühren. Ich erneuere meinen Entschluss, heute keinen Alkohol zu trinken, damit ich es hier „bis zum bitteren Ende“ aushalte. Die Sicht auf die Bühne ist nämlich Top.

Die Verlierer:

Pünktlich um 19 Uhr kommen diese jungen Herren auf die Bühne. Das ist hier im Stadtpark sehr wichtig, da spätestens um 21:45 / 22 Uhr die Musik aus sein muss. Worauf man sich ebenfalls einstellen muss. Der Sound ist meistens deutlich leiser als bei vergleichbaren Open Airs. Hintergrund dabei ist die leidige Thematik „Anwohnerbeschwerden“.

Die Combo „Die Verlierer“ ist eine 2020 ganz frisch gegründete Punkband aus Berlin. Die Texte sind in deutscher Sprache. Die Gitarren sind verzerrt, was dem Ganzen einen gewissen Grunge Sound, aber auch durchaus Stooges Vibes gibt. Der Bass ist sehr präsent und das Tempo eher langgezogen. Textlich sind sie sehr gesellschaftskritisch. Es geht um die klassischen politischen Punk Themen wie etwa gegen Rechts, Wohnungsnot, Krieg. Teilweise ist das was sie sagen, aber auch einfach pure Poesie, in der Tradition von Bands wie Element of Crime. Laut Recherche werden die Text von vier verschiedenen Bandmitgliedern verfasst und das merkt man. Das Ganze klingt sehr nach den „Anfängen“ von Punk Rock, womit sie ein perfekter Opener für den heutigen Abend sind.

Zumindest in meinen Augen. Mir fallen heute ein paar Dinge auf, die mir alkoholisiert sonst nicht so wirklich auffallen (wollen?). Es gibt auch am heutigen Abend wieder Leute, die sich in die Nähe der ersten Reihe stellen und gefühlt das gesamte Set durchquatschen. Wenn man schon so respektlos und uninteressiert zu sein scheint, warum kann man sich nicht einfach hinten an den Bierstand stellen? Stattdessen holt man gefühlt alle 5 Minuten Bier, quetscht sich an den Leuten vorbei und erzeugt in mir einfach nur „Hass“. Eine zweite Frage an diese Leute möchte ich mir an dieser Stelle noch erlauben: „Warum zahlt ihr 85 Euro, wenn ihr euch nur mit euren Freunden besaufen wollt“? Der Park ist groß genug. Trefft euch halt außerhalb der Konzertstätte. Naja, so viel Zeit musste jetzt sein.

Iggy Pop:

Gegen 20:10 Uhr tritt dann der von vielen als „Godfather of Punk“ betitelte Iggy die Bühne mit „T.V. Eye“. Einem echten Klassiker vom 1970er Stooges Album „Funland“.
Er hat schon nach wenigen Minuten das gesamte Feld komplett in seiner Gewalt. Selbst der Typ vor mir (Arzt laut seiner Visitenkarte, die ich nach jedem Besuch von ihm am Bierstand ungewollt zu sehen bekomme) mit dem voluminös gegelten Haar hält jetzt seine Klappe. Wobei nicht so ganz. Irgendwie steht mir und allen um mich herum in der Folge 1,5 Stunden kollektiv der Mund offen.

Es ist ein vom ersten Ton an super beeindruckender Auftritt.

Du bist 78 Jahre alt und der eine Fuß ist nicht (mehr) so groß wie der andere? Jahrzehnte lang den Körper wie eine lästige Fliege behandelt? Völlig egal! Iggy steht nicht still an seinem Mikro und krächzt von alten Zeiten. Iggy marschiert auf und ab. Tanzt dabei mit dem ganzen Körper wie ein Wilder. Iggy gibt alles !

Er mag einen alten Körper haben. Seine Seele scheint seit seinen musikalischen Anfangszeiten um keinen Tag gealtert. Insgesamt 19 Songs sind an diesem Abend zu hören, die aus einer bunten Mischung von alten Stooges Songs und den etwas neueren (bis teilweise super aktuellen) Solo Songs bestehen. Schon sehr früh im Set gibt es das zuvor erwähnte Lied „The Passenger“. Ein Song, den wohl fast jeder kennt. Selbst die Andrea Berg Mutti von nebenan. Immer wieder kommt er ganz nah an das Gitter zu uns. So auch hier. Wir singen alle zusammen mit ihm.

Er so : „Let′s sing“, und wir so „La la la la la la la la“. Einfach herrlich.

Weiter geht es mit „Lust for Life“ vom 1977er Solo Album „The Idiot“. Bei „I Wanna be your Dog“ wird auch ein Mann neben mir mit Anlauf angerempelt von einem „Ich hole alle 5 Minuten Bier und drängle mich trotzdem stets zurück nach vorne in die Mitte Typ“. Auch keine angenehme Spezies.

Es gibt dort in der Mitte dann auch einen kleinen Pit und wohl auch einen etwas unschönen Schlagabtausch. Zumindest springt die Security mit zwei Mann rein. So richtig was sehen davon kann ich aber nicht. Auf jeden Fall passt es irgendwie perfekt zu diesem doch eher etwas aggressiveren Song. Blut gibt es zumindest nicht zu sehen.

Allerdings zeigt der „Vorfall“, wie viele verschiedenen Menschen heute gekommen sind. Zwar ist der Großteil schon etwas älter. Trotzdem bin ich bei weitem nicht der einzige „jüngere“ Zuschauer im Publikum. Ansonsten sieht man „rein optisch“ vom Typ Arzt bis zum Typ Altpunk alles. Die meisten Leute an diesem Abend machen einen freundlichen Eindruck. Alle wirken wie bereits beschrieben, wie gebannt von dieser Ikone.

Stooges Klassiker folgen. Von „Down on the Street“ bis hin zu L.A. Blues / Nightclubbing. Besonders in Erinnerung bleibt mir „I am sick of you“. Was für ein Song ! Hier kommt die ganze Macht von Iggys Stimme perfekt zum tragen. Auch die Band soll nicht unerwähnt bleiben. Eine gute Mischung aus jungen und älteren Semestern. Unter anderem auch dabei eine „Joan as Police Woman“ am Keyboard. Man merkt, dass alle sorgsam ausgewählt worden sind. Die Soundkulisse ist trotz der nicht so hohen Lautstärke fantastisch.

Ansonsten flucht Iggy was das Zeug hält. Das Wort „Fuck“ fällt bei vielen seiner Ansagen. Es wird standesgemäß auf die Bühne gerotzt und seinen Becher schmeißt er auch mehrfach an die Wand. Manchmal packt er auch das Mikrofon spontan in seine Hose. Trotzdem macht er einen sehr „freundlichen“, sympathischen und „volksnahen“ Eindruck. Die Songs müssen halt nicht nur intoniert, sondern auch von ihm gelebt werden. So zumindest mein Eindruck. Einen Stage Dive lässt er sich ebenfalls nicht nehmen.

Man merkt einfach, dass er seinen Spirit nie verloren hat. Mag sein, dass Iggy inzwischen ein wohlhabendes Leben in Florida führt. Man muss das Ganze in meinen Augen anders betrachten. Aktiv machen müsste er wohl gar nichts mehr für sein Leben. Er tut es weiterhin aus vollster Überzeugung. Für das „anders sein“ und mit Verachtung für alle Konventionen. Quasi ein „Anti Friedrich Merz“ 😉

Seine Stimme klingt für sein Alter noch immer fantastisch! Unweigerlich drängt sich mir der Vergleich zu Patti Smith auf. Von vielen als „Godmother of Punk“ geadelt. In meinen Augen völlig zurecht.

Auch sie konnte ich an gleicher Stelle schon spielen sehen. Ebenfalls ungebrochen im Spirit, ist im gleichen Alter, mit spucken auf der Bühne und viel „Fuck“ sagen. So unterschiedlich sie musikalisch sein mögen. Die Intention, die beide mit ihrer Kunst verfolgen, ist in meinen Augen sehr ähnlich.

Als Zugabe gibt es am Ende noch „Real Wild Child“ und „Funtime“. Gegen 21:45 Uhr ist Schluss. Da können die Nachbarn wohl heute nicht meckern ;). Der Arzt neben mir gibt ein anerkennendes „Das war großartig“ von sich.

Eigentlich will ich zuhause direkt ins Bett. Allerdings zieht es mich dann doch noch eine Stunde auf den Balkon. So einen Abend muss man erstmal verarbeiten. Ich bin schwer berührt. Was für ein talentierter, cooler, (noch immer) abgefuckter und durch und durch sympathischer Typ.

In dem Alter so eine Show abzuliefern macht mir Mut und gibt Hoffnung. Vielleicht kann man doch viel mehr schaffen als man denkt? Auch wenn natürlich (bzw. leider!) nicht jeder so ein medizinisches Wunder sein kann wie er. Während der Show hatte ich eigentlich die ganze Zeit Gänsehaut und durchaus auch mal Tränen in den Augen. Das bei einem Künstler, mit dem ich mich vorher kaum beschäftigt habe.

Sowas schaffen wohl wirklich nur Legenden.

Diesen Artikel teilen auf: