Dritte Wahl in Hamburg 2025

Am 18ten Januar geht es in die Große Freiheit 36, für die Punkrock – Veteranen aus Rostock.

Wir sind pünktlich um 18 Uhr zum Einlass da. Das lohnt sich in der Großen Freiheit grade bei ausverkauftem Haus immer, da man ansonsten aufgrund der Wartezeiten an der Garderobe durchaus Gefahr läuft, den Anfang vom Konzert zu verpassen. Ein weiterer Trick, den ich sehr empfehlen kann, ist, ein Shirt von der Band direkt beim Reingehen zu kaufen und es anschließend in die Jackentasche zu quetschen. So muss man sich hinterher nur an einer Schlange anstellen und man muss das (potenzielle) neue Lieblingsshirt nicht im schlimmsten Falle in der Größe „Presswurst“ kaufen. XL Shirts sind meinen Erfahrungen nach bei Punkkonzerten oft relativ schnell ausverkauft. Naja, wir leben halt gut :). Für uns läuft es prima. 19 Uhr soll die Musik starten und schon 18:30 stehe ich im T-Shirt und mit Bier vor der Bühne. Da bleibt noch genug Zeit für einen Plausch mit den Kollegen.

Massendefekt:

Los geht es mit dieser Band (Link) vom Niederrhein. Eigentlich höre ich mich vorher immer schon gerne in die Supportbands rein. Hier hab ich meine Hausaufgaben mal nicht gemacht. Sprich ich kenne keine einzigen Song, als das Licht ausgeht. Trotzdem gefällt mir der Auftritt direkt. Sympathische Ansagen und eingängige Sounds. Bei manchen Songs wie „Disco“ (Link) kann man zumindest den Refrain fast direkt mitsingen. Was absolut nicht als Kritik aufgefasst werden soll. Einfach gute Laune Musik im allerbesten Sinne. Die Band beschreibt ihren Stil selbst als „Punk & Roll“. Die Bezeichnung passt in meinen Augen absolut.

Die Leute um mich herum scheinen die Band größtenteils zu kennen und sind ziemlich textsicher. In Sachen Pogo beschränkt sich das „Tanzgeschehen“ allerdings erstmal auf 10-15 Leute. Im späteren Verlauf des 45 Minuten Sets kommt es dann zu einem ersten kleinen Circle Pit und schließlich noch zu einer erstaunlich großen Wall of Death. Am Ende gibt es viel Applaus für die Band.

Die Menge wurde auf jeden Fall erfolgreich angeheizt und die Spannung steigt. Die Umbauphase geht für Punkrock Verhältnisse blitzschnell. Vermutlich auch, da nach dem Konzert (wie fast immer am Wochenende in der Freiheit) noch ein „Disco Abend“ stattfinden soll. Innerhalb von 15 Minuten ist alles umgebaut. Da könnten sich grade amerikanische Bands wie die (trotz allem von mir heißgeliebten) Dropkick Murphys mal ein Beispiel dran nehmen. Die hätten an diesen Abend wahrscheinlich aufgrund von Zeitnot nicht mehr als 40 Minuten gespielt. 😉

Dritte Wahl:

Um Punkt 20 Uhr entern die passionierten Hansa Rostock Fans von Dritte Wahl die Bühne mit dem Opener von ihrem aktuellen Album: „Wir schießen die Milliardäre ins All“ (Link). Ein absolut gute Wahl. Der Moshpit beginnt sofort. Bei meinen letzten Berichten hatte ich mich ja teilweise etwas beschwert über die Rücksichtslosigkeit einiger Leute auf Punk Konzerten. Heute zeigt sich für mich mal wieder, was Dritte Wahl für eine tolle Fanbase haben. Von jung bis alt ist alles dabei und alle feiern friedlich miteinander. Der Alkohol-Pegel scheint bei einigen Leute zwar relativ hoch, aber das Miteinander im Pit ist an diesem Tag wirklich gut. Die Leute strahlen förmlich vor Freude. Mir sollte am nächsten Tag zwar trotzdem wieder alles weh tun, aber das ist dann einfach Berufsrisiko im Pit.

Das Konzert hat zwar den Fokus auf dem neuen Album „Urlaub in der Bredouille“; von dem werden einige Songs gespielt. Trotzdem ist es auch ein Best of an Liedern aus den über 30 Jahren Bandgeschichte. Sänger Gunnar fordert uns daher auch proaktiv auf, bei allen neuen Songs erstmal zu buhen, da „alles nach dem zweiten Album einer Punkband eh nur noch Kommerz ist“. Es ist dieser typische Dritte Wahl Humor, der mich einfach immer wieder zum schmunzeln bringt.

Mein absoluter Favorit in Sachen „neuer Songs“ wird dann auch zur Mitte des Sets gespielt. „Keine Zeit für weiße Fahnen(Link) ist ein sehr politischer, anklagender und zugleich trotziger Song. Gerichtet an die Reichen und Mächtigen dieser Welt. Aber auch eine Aufforderung zum Widerstand gegen diese und ein Appell an den Glauben daran, etwas verändern zu können! Im Video dazu werden einige Szenen vom G20 Gipfel gezeigt. Sowohl von den Politikertreffen, als auch den Protesten dagegen. Ein Song, der mir in den letzten Monaten sehr viel Kraft gegeben hat. Ich finde es immer sehr emotional, wenn man einen solchen Song ganz oft alleine in seinem „stillen“ Kämmerlein gehört hat und ihn dann plötzlich mit über 1000 Leuten zusammen singt und feiert.

Ein wiederum etwas „älterer“ Song, der mich am heutigen Abend kalt erwischt, ist „Zu schön um Wahr zu sein“. Eine textlich äußerst melancholischer Song. Sozialkritik im stärksten Sinne, gepaart mit der leisen Hoffnung, dass unser gesellschaftliches Miteinander vielleicht doch noch zu retten ist. Der erste Teil vom Song ist musikalisch total ruhig und mir kommen kurz die Tränen – im Hinblick auf all die gesellschaftlichen Krisen zur Zeit. Im zweiten Teil wird es dann schnell und laut. Wir legen in den Pogo alles was wir haben. All den Frust und all die Wut, die sich so angestaut haben. Das ist hart, aber wie gesagt heute zum Glück sehr fair untereinander. Dann ist der Song vorbei. Ich schnappe nach Luft. Ein lächelnder Punk wischt mir den Schweiß von der Stirn und klopft mir auf die Schulter.

Es sind diese kleinen Momente, die mich an diesem Abend irgendwie total berühren und mental ganz viel Kraft tanken lassen. Man sieht keinerlei bösartige Aggressivität in den Augen der Leute; alle, die ich anschaue, lächeln.

Ein weiterer wichtiger Song an diesem Abend ist dann natürlich noch „Greif ein“. Geschrieben als Reaktion auf die rechte Gewalt in den 90ern (Baseballschläger-Jahre). Nicht zuletzt auch auf die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Lichtenhagen, Hoyerswerda und Mölln 1992. Ein Song, der dieser Tage aktueller denn je ist. Die gesamte Große Freiheit schreit es heraus: „Hunderte von Leuten rufen WEG MIT DEM NAZI – PACK„.

Im letzten Drittel wird dann mit „Zeit bleib stehen“ einer meiner absoluten Lieblingssongs gespielt. Eine Ode an die Freundschaft und an die schönen Tage. An die Nächte, in denen man hofft, sie würden nie vergehen. Am Ende gehen sie leider doch vorbei, aber wir tragen sie im Herzen weiter.

Bei „Runde um Runde“ haken wir uns alle beieinander unter und die Große Freiheit wird zu einem großen „Kneipenchor“, der diesen Song (der sowohl zu Hamburg als auch zu Rostock super passt) stimmungsvoll perfekt untermalt.

Als Zugabe gibt es zunächst mit „Fliegen“ einen absoluten Klassiker aus der Diskographie. Danach denkt man kurz, es wäre vorbei, da dies in der Vergangenheit oft der letzte Song von Dritte Wahl war. Dann gibt’s aber zum Abschluss noch „Der Himmel über uns“ und „Wo ist mein Preis“. Der ganze Laden gibt gesangstechnisch nochmal alles und dann ist das Konzert nach 2 Stunden auch tatsächlich vorbei.

Das hat richtig gut getan. Der Kopf ist zumindest für ein paar Stunden wieder frei und gefüllt mit neuen Erinnerungen, die mich diesen Abend mit Sicherheit nicht so schnell vergessen lassen werden.


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