Antilopen Gang in Hamburg 2025

Heute (Donnerstag den 30ten Januar) geht es erneut in die Große Freiheit 36, für politischen Rap, wie es ihn im Deutschrap viel zu selten gibt (zumindest im Mainstream).

In Sachen Deutschrap gibt es bei mir eine lange Vorgeschichte. Bis Anfang 20 habe ich diesbezüglich alles aufgesaugt was ging. Man kann sagen, ich war ein richtiger Rap Nerd.
Während meiner Jugend gab es eine Gruppe wie die Antilopen in meiner Wahrnehmung leider nicht. Populär war „Gangsta Rap“. Rap der oft 1 zu 1 kopiert schien aus den USA. Später kam ich dann zwar auch noch zu Casper, der viel über greifbare Themen wie Mental Health auf Indie Rock Musik rappte. Aber so richtig politisch war das alles nicht, was ich damals gehört habe. Mit Ausnahme dann so ab 2015 von „Swiss und die Andern“.
Das erst Mal in meine Wahrnehmung kam die Antilopen Gang beim Splash Festival 2017. Es war das Wochenende an dem Hamburg brannte. Das denkwürdige Wochenende vom G20 Gipfel.
Während andere demonstrierten, war ich mit einem Freund beim beschriebenen Festival. Es war mein erstes Festival überhaupt und ich wollte einfach alles an Acts sehen, was ging. Auch Namen, die mir vorher nichts gesagt haben.
So ergab es sich dann, dass ich an einem sonnigen Nachmittag den Auftritt der Antilopen Gang (ohne jegliche Vorkenntnisse) gesehen habe. Spätestens beim finalen Song „Anti Alles Aktion“ wusste ich, die sind anders als die anderen.
Die Mischung aus Punk und Rap mit politischer Message war für mich Anlass genug, mich mal mehr mit Punk zu befassen. Inzwischen ist aus dem der Rap Nerd ein begeisterten Punk Rock Hörer geworden.

Wirklich Fan geworden von der Antilopen Gang bin ich allerdings erst am 06.08.2021. An dem Tag gab es ein Open Air „Corona Konzert“ von ihnen im Hamburger Park Planten und Blomen. Man brauchte einen negativen Corona-Test um reinzukommen und musste das ganze Konzert auf Bierbänken sitzen (bleiben). Problem dabei, es hat gegossen wie aus Kübeln. Trotzdem waren die Bänke restlos gefüllt. Ich war so dankbar, denn monatelang gab es keine Konzerte mehr. Was juckt es einen da schon, wenn man hinterher wie ein begossener Pudel aussieht. Erneut wurde als letzter Song „Anti Alles Aktion“ gespielt und alle sind geschlossen zusammen aufgestanden und haben getanzt. Ein sehr bewegender Moment, der mir seitdem in nachhaltiger Erinnerung geblieben ist.

Inzwischen hab ich mich mit der Antilopen Diskografie ziemlich ausführlich beschäftigt und höre sie regelmäßig.

Insofern ist die Vorfreude auf den heutigen Abend sehr groß.

Die Benjamins

Eröffnet wird der Abend mit dieser neuen „Supergroup“, mit Mitgliedern aus verschiedensten Bands. Annette Benjamin ist die ehemalige Sängerin der früher ziemlich populären Punk Band Hans-A-Plast. Dann ist an den Drums Thomas Götz von den Beatsteaks dabei, Max Gruber alias Drangsal, Charlotte Brandi und Julian Knoth von „die Nerven“. Die Idee ging meiner Recherche nach von Drangsal aus.
Meistens singt Annette und man merkt ihr die langjährige Bühnenerfahrung mit jeder Sekunde an. Sie hat eine wahnsinnig gute Bühnenpräsenz und weiß ihre wunderbare Stimme vielseitig einzusetzen. Teilweise singt sie mit Charlotte Brandi im Duett, was ebenfalls sehr gut klingt. Ich höre die Band an diesem ersten Abend zum ersten Mal. Insofern kenne ich leider keine der Songs.

Hinterher habe ich mich belesen und stelle fest, dass neben den Songs der aktuellen Band, auch 2-3 Klassiker von Hans-A-Plast gespielt werden. Unter anderem „Rock’n’Roll Freitag. Diese sorgen für durchaus auch musikalisch punkige Momente. Ansonsten merkt man Annette zwar ihre Punk Rock Vergangenheit an, allerdings ist der Sound doch eher der von Bands wie Drangsal bekannte gemachte (und aktuell durchaus sehr populäre) deutsche Indie Pop. Thematisch geht es viel um die Liebe und auch teilweise um Mental Health.
Das Set geht ungefähr 45 Minuten und wird mit anerkennendem Applaus vom Publikum beendet.

Antilopen Gang

Gegen 21 Uhr betritt der Headliner die Bühne. Die Antilopen bestehen aus den Künstlern Danger Dan, Panik Panzer und Koljah. Als DJ haben sie Jenny Sharp am Start und eine Live Band ist auch dabei. Sowohl Jenny als auch Band machen einen hervorragenden Job an diesen Abend und bereichern die Songs ungemein.

Als Einlaufsong läuft „Junimond“. Dann geht es los mit „Nichts für immer“, vom aktuellen Album „Alles muss repariert werden“. Ein textlich sehr melancholischer Song mit Piano-Sound. Zuerst kommt nur Koljah auf die Bühne und rappt seinen Part. Dann folgt Danger Dan mit dem zweiten Part und schließlich betritt Panik Panzer die Bühne.
Im Anschluss kommt mit „Patientenkollektiv“ direkt eine meiner absoluten Lieblingssongs, vom 2017er Album „Anarchie und Alltag“. Es geht um Mental Health, um Selbstzerstörung und darum wie man sich von traumatischen Erlebnissen erholen kann. Ein einschneidendes traumatisches Erlebnis der Antilopen war sicherlich der Selbstmord von ihrem „Band Kollegen“ und Freund NMZS im Jahre 2013. An dieser Stelle möchte ich jeden der ihn noch nicht kennt, den Song „2013“ vom Album „Abbruch Abbruch“ ans Herz legen. Dieser wird am heutigen Abend leider nicht gespielt.

Das Publikum ist absolut bunt gemischt. Von 14 bis 70 ist gefühlt alles dabei. Insgesamt würde ich das Durchschnittsalter allerdings deutlich jünger schätzen als bei vielen Punk Konzerten. Insbesondere bei uns im Pit fühle ich mich heute (mit Anfang 30) schon ziemlich alt. An dieser Stelle möchte ich allerdings mal eine Lanze für “ die Jugend“ brechen. Es wird dieser Tage in den Medien oft gerne so dargestellt, als wäre die aktuelle Generation völlig verzogen und unverschämt. Diese Erfahrung mache an diesem Abend überhaupt nicht. Die Leute wirken sehr angenehm und sind nett zueinander. Zudem ist der allgemeine Alkoholpegel der Crowd größtenteils gering, was mal einen netten Unterschied zu anderen Konzerten macht.

Bei „Auf sie mit Gebrüll“ kommt es zum ersten Mal zu einem kleinen Pit und es wird ordentlich mitgesungen. Wobei es mehr ein ineinander springen ist als wirklicher Pogo. Ist halt auch ein ganz anderer Sound als Punk Rock. Auf jeden Fall bin ich jetzt auf Betriebstemperatur.

Es werden viele Songs vom neuen Doppel-Album gespielt. Dieses umfasst eine reine Rap Seite und eine Punk Rock Seite. Besonders die Punk Rock Songs wie „Oberbürgermeister“, „American Fitness am Hermannplatz“ oder „Muttertag“ funktionieren live ziemlich gut. Trotzdem hätte ich mir (in guter alter Punk Manier) insgesamt ein paar mehr ältere Songs im Set gewünscht.

Ein weiterer echt Klassiker im Set ist „Enkeltrick“. Dieser klingt besonders mit Band richtig gut. Es geht um eine Oma, die von Betrügern, die sich als ihre Enkel ausgeben um ihr hart erspartes Geld gebracht wird. Ziemlich zynisch, aber auch sehr unterhaltsam und leider wohl auch gängige Praxis in der echten Welt. Besonders in Bezug auf das Internet ein sehr aktuelles Thema.

Ihr politisch vielleicht wichtigster Song „Beate Tschäpe hört U2“ darf natürlich ebenfalls nicht fehlen. Veröffentlich 2014 und damals seiner Zeit weit voraus. Verschwörungstheorien und gelebter Rassismus werden beschrieben, der heute leider präsenter denn je ist.

Zur Zugabe werden 2 der 3 Rapper in einem Auto ins Publikum gefahren. Danger Dan steht auf der Rückbank und lugt mit dem Kopf oben raus, Panik Panzer sitzt auf dem Fahrersitz. Zumindest den beiden sind wir jetzt ganz nah, aber Koljah scheint zunächst verschollen. Findet sich dann allerdings auf der Tribüne rechts wieder. In dem Moment sehe ich dort oben 2 sehr ehrenwerte Gäste. Das Ehepaar Lohmeyer ist zu Besuch. 2 absolute Vorkämpfer im Kampf gegen Faschismus in unserem Land. Sie wohnen im deutschlandweit bekannten Ortsteil von Jamel in Landkreis Nordwestmecklenburg. Ein „Dorf“ in dem außer den beiden nur Rechtsradikalen wohnen und den Ort gerne mal zur „Nationalbefreiten Zone“ erklären. Seit 2007 organisieren die Lohmeyer das antifaschistische Festival „Jamel rockt den Förster“ bei denen oft sehr bekannt Bands aus alles Genres unentgeltlich auftreten. Ich hoffe sie hatten einen schönen Abend.

Als erste Zugabe gibt es „Sympathie für meine Hater gefolgt von „Wenn das hier vorbei ist“. Beide Songs werden vom Auto bzw. vom Balkon aus performt, was einen sehr coolen Vibe erzeugt.

Zurück auf er Bühne gibt es anschließend mit „Für wenige“ meinen Lieblingssong des neuen Albums. Wieder mal eines dieser Lieder, die man monatelang zuhause hört. Sowas kickt dann live einfach anders. Ein ohnehin schon sehr emotionaler Song, mit dem ich mich oft sehr identifizieren kann. Es ist mein melancholisches Highlight des Tages.


Ein weitere Hit darf natürlich nicht fehlen. Pizza ist noch immer vielleicht der größte Hit, den die Antilopen je veröffentlicht haben. Heute spielen sie ihn in der Punk Rock Version. Es wird nochmal ordentlich gepogt.

Der finale Rausschmeißer ist dann das eingangs erwähnte „Anti Alles Aktion“. Immer wieder ein Monster von einem Song, der die Großen Freiheit noch letztes Mal beben lässt.

Anschließend werden wir zu den Klängen von „Wir müssen hier raus“ von Ton Steine Scherben in die kalte Hamburger Nach entlassen. Ein toller Abend nimmt sein Ende.

Diesen Artikel teilen auf: