Gefeiert wird auf der sogenannten „Walli“. Ein Gelände, welches sich auf der Lübecker Wallhalbinsel befindet. Auf diesem gibt es viel Natur und das Wasser quasi vor der Tür. An normalen Tagen ist dieser Ort besonders bekannt für das Gebäude des dazugehörigen Clubs TreibsAND. Es gibt allerdings nicht nur den Club, sondern auch eine Kneipe und andere Freiräume für alternative Kultur .
Alle Menschen die sich dort engagieren, sei es die Organisation, an der Bar oder an der Tür, machen dies ehrenamtlich. Alle Einnahmen fließen in die Instandhaltung der Anlage, sowie in soziale und politische Projekte.
Ursprünglich ins Leben gerufen wurde das ganze bereits im Jahre 1978 vom Alternative Tagungsstätte e.V.. Meinen Recherchen zufolge, anfangs als kleines alternatives Zentrum mit Teestube, Hinterhofkino und einem Buchladen in der Hüxstraße 69. Seit 1984 ist der Verein auf der benannten Wallhalbinsel zu Hause und zu Fuß braucht man vom Lübecker Hauptbahnhof ungefähr 10 Minuten.
Bis heute ist es ein Ort, an dem sich die Betreiber mit klarer Kante gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit und sonstige Diskriminierungen Schutzbedürftiger in unserer Gesellschaft stellen.
Ein guter Freund hat mir den Laden im Dezember 2022 zum ersten Mal gezeigt und ich habe mich direkt sehr wohl und zuhause gefühlt.
Das Publikum ist meistens bunt gemischt und natürlich sieht man auch die Leute, die bestimmt schon seit 30-40 Jahren dabei sind. Auf der anderen Seite zieht das TreibsAND – gerade bei Punk Veranstaltungen – auch immer wieder den Nachwuchs an. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass das Programm ebenso bunt gemischt ist wie das Publikum. An einem Abend spielen Alt-Punks wie zum Beispiel Ignite oder Skeptiker, an einem anderen Abend spielen vor allem bei jungen Leuten sehr beliebte Bands, wie Jack Pott oder ZSK.
Durch den Status des Zentrums sind sowohl die Eintrittspreise als auch die Getränkepreise sehr sozial. Das 0,33er Flaschenbier von verschiedenen Marken gibt es beispielsweise schon für 2,50 Euro. Die Stimmung war bisher immer super friedlich und herzlich, wenn ich dort war und das sollte auch heute so bleiben.
Schon ab mittags um 14:30 Uhr gibt es auf der Walli ein Fest für Kinder mit vielseitigem Programm. Auf insgesamt sieben Open Air Bühnen und natürlich im TreibsAND Club selbst wird heute gefeiert. Wir erreichen die Location gegen 17:30 Uhr und gehen, trotz fast schon tropischer Temperaturen (für Lübecker Verhältnisse), erstmal in den Club.
Dort erleben wir zum Auftakt melodischen Pop Punk Rock von den Saturday’s Heroes, vier Herren aus Schweden, durchaus in der Tradition von großen Namen wie Blink 182, allerdings mit schön dreckiger Stimme von Sänger Alex Lachan.
Die Sets sind zu dieser Zeit immer ca. 30 bis 40 Minuten lang und in diese stecken die Jungs einen Haufen gute Laune und erspielen sich mit jedem Song ein größeres Publikum. Am Ende ist der Laden trotz des Wetters erstaunlich voll. Sie selbst beschreiben ihren Stil als intensiven 90er Straßen-Punk, kombiniert mit klassischen Rock-Gitarren, energetischem Schlagzeugspiel und das Songwriting inspiriert von Folk.
Ein richtig guter Auftakt, der uns direkt ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Ein Freund unsere Gruppe kennt die nächste Band und marschiert strammen Schrittes nach draußen zur Stadtgrabenbühne. Wir folgen ihm und sollten schon in wenigen Minuten erkennen, was für unterschiedlich Bands wir heute sehen werden.
Hasenscheisse kommen aus dem Raum Berlin/Potsdam und spielen laut eigener Aussage Acoustic-Guitar-Trash-Balladen. Das trifft es ganz gut, es gibt gut gelaunte Singer-Songwriter-Comedy zu sehen. Neben Gitarre, Bass und Gesang hat die Band auch ein Akkordeon am Start. Das erweckt in mir teilweise – trotz meist völlig anderer inhaltlicher Thematik – leichte Seefahrer-Vibes, was absolut als Kompliment zu verstehen ist und es gibt dem Sound auf jeden Fall ein Alleinstellungsmerkmal.
Der bekannteste Song ist wohl Bernd am Grill, ein Song der vielfach im Internet geteilt wurde, teilweise im Radio lief und anschließend sogar von den Schlager-Barden der Randfichten in 2010 gecovert wurde.
Anschließend geht es zurück ins TreibsAND, zu einer Band, über die auf unserer Homepage auch schon einmal berichtet wurde – nämlich zu Dorfterror. Eine Hand voll Songs kenne ich und freue mich darauf, die Dame und die Herren endlich einmal live zu sehen. Sie kommen aus dem fernen Trier und haben es bisher in Sachen Auftritte nur bis Bremerhaven geschafft, wie sie uns zu Beginn erzählen.
Sprich, „bei uns“ sind sie bisher noch nicht so bekannt, aber trotzdem schaffen sie es sofort, das Publikum – mich eingeschlossen – mitzureißen. Druckvoll, melodisch und politisch kommt der Sound daher, zudem geht es natürlich auch um das Leben als „Punk vom Dorf“. Wir starten dann schnell mit einer Hand voll Leute einen kleinen Moshpit, auch wenn ich dadurch bereits nach wenigen Minuten mal wieder wie ein begossener Pudel aussehe. Zwischendurch gibt es ein Cover von Willst du, dem wohl größten Hit von einem gewissen Alligatoah, der sich besonders in meiner Generation immer noch ziemlich großer Beliebtheit erfreut – entsprechend fällt unsere Reaktion aus.
Allerdings wissen auch ihre eigenen Songs, von No Future Kid bis Blaue Haare, mich zu überzeugen.
Weiter geht es für uns auf der Mai-Wiese mit Pommespanzer, Ska-Punk aus Hamburg. Fünf Männer an Schlagzeug, Bass, Gitarre, Saxophon und Gesang, sowie einer Dame an der Trompete. Schon im vergangenen Jahr hatte ich die Gelegenheit, die Band im Hamburger Logo zu sehen und war sehr begeistert. Das ist heute nicht anders. Es geht in ihren Texten um Pommes, Liebe, Punkrock, Abhauen ans Meer, Stadtteilromantik und Lokalfußball.
Die Stimmung ist super und nun gibt es auch richtigen Pogo im vorderen Bereich, wir sind natürlich mittendrin. Problem dabei, der Boden ist durch die lange Zeit ohne Regen sehr sandig. Ähnlich wie oftmals bei der kleinen Bühne vom Ruhrpott Rodeo, sind wir bald bis an die Zähne voll mit dem Zeug. Tja und was soll man sagen, es ist uns völlig egal! Dafür macht das hier einfach viel zu viel Spaß.
Mit Monkeys setzen sie dem gleichnamigen Club in Altona bei jeder Show aufs Neue ein Denkmal. Überhaupt steckt da sehr viel Hamburg drin in den Songs, egal ob es um das legendäre Clochard auf dem Kiez oder um Altona 93 geht.
Mein Gedanke nach der Show ist wie so oft bei Bands dieser Art: Es kann gar nicht genug Ska-Punk Bands geben, die machen einfach gute Laune und man kann sich schön die Seele aus dem Leib tanzen.
Wir bleiben auf der inzwischen schon gut „umgegrabenen“ Mai-Wiese, für die schwedische Punkrock Band Dead Pollys. Für mich klingt das viel nach Klassik-Rock, gemischt mit einem Hauch Oi. Der Sänger Nizze ist eine richtige Rampensau und schafft es in 45 Minuten gefühlt bei jedem zweiten Song runter ins Publikum zu kommen. Dabei werden auch mal Leute geschüttelt, die nicht begeistert genug aussehen. Kann man gut finden, kann man sicherlich auch doof finden, aber unterhaltsam ist es in jedem Falle. Die Songs sind in englischer Sprache und mit einem äußerst charmanten schwedischen Akzent rübergebracht. Mit Strummerland gibt es eine nette Hommage an Joe Strummer von The Clash und motiviert einen, eine eigene Band zu gründen. Ansonsten klingen die Songs für mich relativ ähnlich und die Show lebt vom charismatischen Sänger.
Auch die letzte Band auf der Mai-Wiese, The Vageenas, gönnen wir uns gegen 21:30 Uhr noch. Eine Band mit langjähriger Live-Erfahrung, das merkt man insbesondere der Sängerin Babette G. sofort an. Allerdings offenbart sich uns schon früh im Set, dass auch bei ihr die Zeit Spuren hinterlassen hat. Zitat von ihr : „Ich würde sehr gerne zu euch runter vor die Bühne kommen, aber ich weiß nicht, ob ich es anschließend wieder hoch schaffe“. Aber das Publikum hilft ihr natürlich und in den nächsten 45 Minuten ist dann davon auch überhaupt nichts mehr zur spüren.
Babette singt mit absolut fester Stimme und springt wie eine „junge“ Hüpferin auf der Bühne auf und ab. The Vageenas kommen vom Niederrhein und haben sich bereits 1994 gegründet. Die Texte sind in englischer Sprache, das Ganze hat ordentlich Druck und das Geschehen vorne wird jetzt immer wilder. Thematisch ist es zwar nicht super tiefgründig, es ist allerdings wie bei The Baboon Show: Viel bedeutender ist, wie das Ganze rübergebracht wird.
Diese Energie ist – nicht nur an diesem Abend – absolut mitreißend!
Freunde und Familie haben für heute genug, aber mich zieht es zurück in den TreibsAND Club.
MDC steht für Millions of Dead Cops. Die Band wurde bereits 1979 in Austin in den USA gegründet und sie spielen Hardcore Punk, der den Laden beben lässt. Meine naive Hoffnung auf etwas mehr Geruhsamkeit zerstreut sich schon in den ersten Sekunden. Sänger Dave zeigt klare Kante gegen die Regierung in seiner Heimat und das in drastischen Worten, sowohl in den Ansagen, als auch in den Songs.
Um die Thematik Trump geht es dann unter anderem auch in dem Song Born to Die, zu welchem es ein sehr gelungenes Musik-Video auf Youtube gibt und in dem es schallt:
No Trump, No KKK, No Fascist USA
I'm born to die, I'm born to fry
My life in a cage, Show my outrage
I'm misunderstood, I did what I could
I made my try, I was born to die
Ansonsten geht es in klassischer Hardcore-Manier zur Sache und die „alten“ Herren beweisen, dass sie es immer noch drauf haben.
Nun folgen noch die letzten 2 Bands des Abends und da auf den anderen Bühnen schon Schluss ist, wird es ziemlich kuschelig im Club.
Den Auftakt vom „Finale“ macht die Electro-Punk-Band 100Blumen aus Düsseldorf, gegründet 2004 und bestehend aus vier Männern. Bei dem Namen hatte ich wieder die kurze Hoffnung auf etwas ruhigeres. Allerdings geht auch diese Band sowas von nach vorne! Wenn das heute so weiter geht, brauchen die hier echt bald ein neues Dach.
Ich kenne die Band vorher nicht, aber sie überzeugen mich auf ganzer Linie. Trotzdem habe ich inzwischen für heute die Schnauze voll vom Pogo und trinke in Ruhe Bier etwas weiter hinten. Der Sound geht für meine Begriffe schon in Richtung Industrial. Inhaltlich ist das Gesellschaftskritik, vorgetragen mit einer gesunden Portion Wut. An dieser Stelle sehr zu empfehlen ist der Song Die Kinder. Hier das Youtube-Video. Da ich die Songs vorher nicht kannte und zum Zeitpunkt des Auftritts auch nicht mehr so ganz taufrisch bin, bin ich mir gerade nicht sicher, ob sie den Song an diesem Abend auch gespielt haben.
Auf jeden Fall machen sie eine super Show und ich bin froh, noch nicht nach Hause gegangen zu sein.
Als Abschluss gibt es dann mit Swartzheim nochmal Hardcore aus der Region Aaarhus in Dänemark. Während MDC teilweise noch gesungen hatten, wird nun nur noch geschrien.
Mein angeschlagenes Ohr hat langsam die Schnauze voll für heute, aber natürlich bleibe ich trotzdem bis zum Ende. Jeppe Halse Fugleberg am Gesang legt aber auch definitiv eine sehenswerte Performance hin.
Die Texte verstehe ich leider nicht, aber die Songtitel klingen zumindest englisch. Es wird nochmal ordentlich abgerockt. Gegen 1:30 Uhr ist das Fest dann vorbei.
Es war ein Nachmittag und Abend voller netter Menschen und super Musik. Jedem aus der Region kann ich nur ans Herz legen, im nächsten Jahr mal beim Maifest auf der Walli vorbeizuschauen. Das Wetter war die letzten Jahre auch immer gut. Wie es meine Mutter (und Wahl-Lübeckerin) so schön sagt: „Ein guter Geist scheint seine Hand über dieses Fest zu legen“. Wenn dem so sein sollte, dann absolut zurecht.
Man spürt, hinter dem Verein stecken Leute, die das ganze mit viel Herz und Einsatz planen. So etwas muss einfach unterstützt werden, besonders in Zeiten, in denen immer mehr Freiräume für Alternatives Publikum wegzufallen drohen, Orte der Begegnung, an denen sich Minderheiten sicher fühlen können und die man sich als „normalsterblicher“ Besucher auch finanziell noch leisten kann.
Ein letztes Flensburger im Bett und ab in die Horizontale. Glücklich und zufrieden.
Am nächsten Morgen wache ich mit ziemlich schwarzen Fußgelenken und Sand in den Schuhen auf und auch alles was aus meiner Nase kommt, hat die Farbe schwarz. Ein schönes Andenken.
Bildrechte: Finn Hedges