Frank Turner & The Sleeping Souls in Berlin – Columbiahalle

Mit Frank Turner verbindet mich seit Ostermontag 2022 eine große Liebe, denn an diesem Tag spielte er im Bremer Aladin Club. Es war unser erstes Konzert seit Corona und nun endlich wieder ohne Corona-Maßnahmen.

Entdeckt hatten wir Frank Turner wiederum bei einem unserer letzten Konzerte vor Corona, damals als Vorband von den Dropkick Murphys in Hamburg.

Meine Mutter war damals sofort völlig begeistert. Ich fand die Musik jahrelang „ganz gut“, aber so wirklich warm mit ihm durch die Alben bin ich nicht geworden.

Das sollte sich an jenen Abend in Bremen ändern. Ich hatte die ersten Minuten Angst, nach vorne in die Menschenmasse zu gehen und wollte eigentlich nicht pogen gehen. Aber dann bin ich schließlich doch rein gegangen und es wurde das vielleicht schönste und definitiv emotionalste Konzert meinen Lebens. Ich erinnere mich bei Songs wie The Ballad of me and my Friends völlig aufgelöst und unkontrolliert schluchzend zu tanzen und von völlig fremden Menschen spontan fest in den Arm genommen worden zu sein. Es kristallisierte sich auf der einen Seiten glasklar heraus, wie sehr mir diese Konzerte während Corona gefehlt hatten, auf der anderen Seite wurde mir da erst klar, was für ein unfassbarer Live-Künstler dieser Mann ist und vor allem, was für ein starker Song Writer. In den Monaten danach bin ich dann auch ein großer Fan seiner Alben geworden.

Einige Frank Turner Konzerte später bringt uns die Reise heute nach Berlin Tempelhof, in die Columbiahalle. Wir schreiben den 18. Oktober 2024 und es ist unser erster Besuch dort.

Frank Turner & The Sleeping Souls in Berlin – Columbiahalle

Entsprechend gespannt sind wir, was uns dort erwartet. Es ist ein schöner sonniger Freitag und wir stellen wieder mal fest, dass man „nebenan“ in Neukölln echt gut essen kann und – ebenfalls nebenan – in Kreuzberg richtig gut draußen Bier trinken kann 🙂

Gegen 18:30 Uhr finden wir uns dann zum Einlass an der Halle ein. Die Security ist sehr entspannt und die Halle macht einen guten Eindruck. Es gibt unten eine wirklich große Tanzfläche, ideal zum pogen oder eben zum tanzen und dazu gibt es oben eine wirklich ziemlich groß anmutende Tribüne. Insgesamt passen laut Google ungefähr 3500 Leute in die Halle. Diese ist an diesem Abend zwar ( zumindest auf den Papier) nicht zu 100 Prozent ausverkauft, aber augenscheinlich wurden an der Abendkasse noch ein paar letzte Karten erfolgreich verkauft. Die Halle ist später nämlich pickepacke voll und der Sound ist ebenfalls richtig gut an diesem Abend.

Shitney Beers

Der Abend beginnt mit dieser Singer-Songwriterin aus Hamburg, die ansonsten mit Band unterwegs ist. Heute spielt sie alleine ein Akustik-Set. Mir kommt sie bekannt vor und ich entsinne mich, dass ich sie mit Band schon mal als Support für Thees Uhlmann gesehen habe. Eine Google Suche ergibt, dass sie auch auf dem Label Grand Hotel van Cleef (von Thees Uhlmann und Markus Wiebusch) ist.
Leider ist so ein vergleichbar ruhiges Set zu diesem Zeitpunkt eine etwas undankbare Aufgabe. Viele Leute kommen gerade erst in die Halle und es werden viele Gespräche im Publikum geführt, die es erschweren sich auf die Musik zu konzentrieren. Ihr Stimme gefällt mir trotzdem und einen sehr sympathischen Eindruck macht sie auch, aber mit den Lyrics muss ich mich dann wohl nochmal in Ruhe beschäftigen. Am Ende freut sie sich auf jeden Fall über den verdienten Applaus und macht auch vorher das beste aus der Situation.

Skinny Lister

Weiter geht es mit Londoner Folk-Punk vom Allerfeinsten. Skinny Lister, eine Band mit weiblicher und männlicher Gesangsstimme. Ich kenne sie schon seit ein paar Jahren und wir haben sie auch dieses Jahr bereits live im Hamburger Knust gesehen, das war mit Sicherheit eines der besten Konzerte dieses Jahr. Nun war die Frage, ob sie auch so eine große Halle von sich überzeugen können. Die Antwort ist ein klares JA! Vom ersten Ton an lauscht das Publikum nun sehr aufmerksam und es gibt den ersten Pogo vorne.

Ich stehe zunächst etwas zu weit hinten für den Moshpit, aber nach dem dritten Song halte ich es nicht mehr aus und drängle mich mit freundlicher Entschlossenheit zum Ort des Geschehens.

Die Musik ist sehr tanzbar und musikalisch durchaus anspruchsvoll. Man könnten auch sagen, ganz in der Tradition der Pogues – was absolut als Kompliment gemeint ist. Thematisch geht es hauptsächlich um die gute alte Kneipenkultur und wie fast immer auch um die Liebe. Die Sängerin Lorna ist eine absolute Rampensau, die keine Gelegenheit auslässt ins Publikum zu gehen. Zum Song Arm Wrestling in Dresden ist es dann auch soweit. Lorna kommt ins Publikum und macht mit mutigen freiwilligen Armdrücken vor der Bühne. Die Leute sind strahlen :). Dann wird – wie bei jeder Skinny Lister Show – noch ein riesiger Krug mit Alkohol im Publikum herum gereicht. Gut 45 Minuten geht das Set und zum Abschluss wird es nochmal richtig wild mit Trouble on Oxford Street. Der perfekter Song für eine Eskalation zum Abschluss.

Frank Turner & the Sleeping Souls

Gegen 21:15 Uhr betritt der Main Act Frank Turner die Bühne mit dem Song No thank you for the Music, vom neuen Album Undefeated. Danach kommt mit 1933 direkt ein etwas älterer Song mit klarer Haltung gegen Faschismus.
Die Musik von Frank ist sehr abwechslungsreich. Es gibt Alben die sehr ruhig und folkig gehalten sind, wie zum Beispiel England Keep My Bones und dann gibt es aber auch wiederum Alben wie FTHC (Abkürzung für Frank Turner Hardcore), die sehr punkig und roh sind. Das zuvor erwähnte Album Undefeated ist wieder eher ruhiger gehalten, allerdings wird eine bunte Mischung aus alten und neuen Songs gespielt. Von den ganz alten Klassikern bis hin zu ganz neuen Hymnen wie Do one ist alles dabei. Bei diesem Song gibt es im übrigen auch eine deutsche Version, zusammen mit Ingo Donot von The Donots. An diesem Abend singt Frank dann tatsächlich auch die erste Strophe auf deutsch.

Im weiteren Verlauf des Abends gibt es dann für 3-4 Songs ein Akustik Set ohne Band. Das macht absolut Sinn, denn für einige seiner Songs braucht es überhaupt keine laute Begleitmusik. Einer davon ist Be more Kind, dieser wird für mich zum emotionalen Höhepunkt des Abends. Frank erzählt als Einleitung davon wie der Song 2016 entstanden ist. In England und USA rückte die Politik stark nach rechts, er wollte ein Statement gegen Hass und für mehr Menschlichkeit setzen. Dann berichtet er uns davon, dass er sehr viele deutsche Freunde hat, die ihm vom aktuellen Rechtsruck hier im Lande berichteten. Daher widmet er uns diesen Song und drückt uns seine grenzenlose Solidarität aus. Die Aussage von diesem Song lässt sich mit folgender Strophe perfekt beschreiben:

In a world that has decided
That it’s going to lose its mind
Be more kind, my Friends Try to be more Kind

Eigentlich ist es doch so einfach, ich fand den Song sowieso schon immer sehr berührend, aber heute bricht er mich gerade im Kontext zur Ansage ein bisschen. Naja, ist irgendwie auch schön einen Song laut mitzusingen, dabei einen Kloß im Hals, Gänsehaut und versuchen nicht komplett in Tränen auszubrechen.


Es folgt The Ballad of me and my friend, ein Song aus seiner Anfangszeit, über den ich mich ja schon oben ausführlich ausgelassen habe. Auch heute verfehlt er seine Wirkung nicht.

Anschließend kehrt die Band für einige schnellere und leichtfüßigere Nummern zurück. Gegen Ende kommt dann – für regelmäßiger Besucher seiner Konzerte – ein unerwarteter Twist. I still believe wird noch vor der Zugabe gespielt, sein vielleicht bekanntester der älteren Songs. Eine Ode an das Leben und an die Liebe zu Rock ’n’ Roll – ein perfekter Pogo-Song.

Danach gehen Frank und die Band von der Bühne und man weiß nicht so genau, ob noch was kommt. Aber natürlich kommen dann noch die Zugaben. Wir sind mal wieder auf den ältesten Konzert-Trick der Welt reingefallen.

Es geht weiter mit Polaroid Picture, einer eher unbekannteren Nummer vom Album Tap Deck Heart. Trotzdem bewegt Frank den ganzen Laden zum minutenlangen springen. Kurz vor Schluss gibt es das Lied Somewhere in between, vom Künstler als Lieblingssong des neuen Album tituliert. Ein sehr persönlicher Song über das „sich nicht verstanden fühlen“ und „nirgendwo richtig rein passen“. Schon wieder so ein Gänsehaut Moment.

Nun soll die Hütte noch ein letztes Mal für heute „abgerissen“ werden und Get Better ist dafür der perfekte Song. Schließlich kommt als Rausschmeißer noch Four Simple Words. Der Song bei dem ich damals in Bremen beschlossen habe mich nach vorne zu trauen. Band und Publikum geben nochmal alles. Als es vorbei ist stehe ich klitschnass in der Menge und muss mich erstmal sammeln.

Epilog

Die Garderoben Schlange ist etwas klaustrophobisch, da es eine relativ enge Treppe runtergeht. Allerdings machen die Mitarbeiter:innen einen sehr guten Job und wir kommen ziemlich schnell raus in die Nacht.

Wir „tagen“ noch ein paar Stunden im Hotel, denn es gibt einiges zu besprechen. Das Konzert wirkt spürbar nach. Es ist einfach sehr beeindruckend, wie viel Energie Frank Turner live versprüht, gerade wenn man weiß, dass der Mann regelmäßig super lange Touren auf der ganzen Welt spielt. Beispielsweise hat er auf einer Tour mal in allen 50 US Bundesstaaten gespielt. Auch in UK tourt er gefühlt 1-3 mal pro Jahr. Wenn man ihm genau in die Augen schaut, sieht man zwar schon ein gewisse Müdigkeit, aber sein Programm wirkt nie wie „lieblos abgespult“. Jedes Konzert, welches ich bisher von ihm sehen durfte war einzigartig gut! Mit 42 Jahren hat er ja auch noch ein ganz gutes Alter für sowas, dennoch ein beeindruckendes Pensum. Früher hat er sich nach eigener Aussage noch mit Substanzen wie Kokain oder Speed gepusht. Heute bleibt es, wenn, dann beim Alkohol. Besser ist es wohl.

Er schafft es immer die Leute tief zu berühren und gleichzeitig zur bewegungstechnischen Eskalation zu verleiten. Dabei wirkt er absolut bodenständig und super sympathisch. Einfach ein Herzblutmusiker durch und durch. Ich war am Tag danach auch noch bei seinem Konzert in Hamburg und kann das eben gesagte nur noch einmal unterschreiben. Beim nächsten mal sind wir auf jeden Fall wieder dabei.

Zum Schluss kann ich euch allen nur empfehlen, geht zu einer seiner Shows! Selbst wenn ihr sonst eher härtere Musik hört, gebt ihm eine Chance. Supportet Leute mit so großem Talent, die sich buchstäblich regelmäßig „den Arsch abspielen“.

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