Agnostic Front im Hamburger Grünspan

Der recht Fuß schmerzt schon seid einigen Tagen und ich bin mir zum ersten Mal seid langer Zeit unsicher, ob der Besuch der heutigen Show wirklich klug und sinnvoll ist.

Mein Freund überredet mich schon Anfang der Woche bei der Arbeit, trotz der Bedenken mitzukommen. Nun ist der 14te November 2024 gekommen und ich frage mich den Tag über, was für Leute wohl zu solchen Shows gehen ? Wird es echt so „gewalttätig“ wie vermutet und hält mein Fuß? Ein paar Bier und sehr gute Gespräche später sind wir bereit und machen uns auf zur Großen Freiheit 58.

Das Grünspan ist ein altehrwürdiges Gebäude mitten auf St Pauli und laut Recherche passen 950 Leute in den Club. Es gibt eine kleine Tribüne, die heute aber nur als Garderobe dient. Ein Indiz dafür, dass der Laden nicht ganz ausverkauft ist. Das Problem, in diesem eigentlich sehr schönen Laden, ist bei „wilderen“ Konzerten leider stets die Luft. Es wird in der Regel schon nach wenigen Pogo Aktionen auf der Tanzfläche super heiß im Raum. Oft genug musste ich mich in der Vergangenheit gegen Ende des Konzertes erstmal auf die sehr bequemen Sofas im hinteren Bereich setzen um nicht zusammenzuklappen. Nicht die besten Voraussetzungen für eine Hardcore Show.

Violent Way

Der Abend wird eröffnet von der jungen Oi-Band Violent Way aus Buffalo, die bereits auch bei Sick of it All in Hamburg dabei war. 2022 kam ihr Debütalbum Bow To None raus, welches ich an dieser Stelle wärmstens empfehlen möchte.

Zu Anfang ist der Bereich vor der Bühne noch ziemlich leer, aber die Band schafft es, mit jedem Song mehr Leute für sich zu begeistern.

Der Sound ist sehr klassisch Oi gehalten und geht nach vorne. Thematisch werden die altbekannten „Working Class“ Themen behandelt und in der Stimme vom Sänger ist ordentlich Druck. Einen richtigen Moshpit gibt es allerdings während des gesamten Auftritts nicht, aber wir haben trotzdem Spaß

Man muss sich ja auch nicht immer „prügeln“. Auch wenn es in meinen Augen meistens verdammt viel Spaß macht. Es sei denn man hat irgendwelche Arschlöcher in der Crowd, die bewusst Menschen verletzen wollen. Einfach Pech kann man natürlich auch haben, ein gewissen „Berufsrisiko“ bringt der Pogo nun mal mit sich. Dazu später mehr.

Murphy’s Law

Weiter geht es mit Hardcore Punk aus New York von Murphy’s Law, der allerdings – zumindest in meinen Ohren – deutlich melodischer klingt als Agnostic Front. Das gefällt mir, auch wenn ich vorher keinen Song von ihnen kenne, aber das wird nach diesem Abend definitiv nachgeholt. Der Sänger ist allerbester Stimmung und total begeistert darüber, dass er auf der Bühne trinken darf. Ist dies in den USA etwa verboten? Er hat auf jeden Fall die Flasche Jägermeister in der Hand und fühlt sich augenscheinlich sehr wohl bei uns.

Die Tanzfläche hat sich inzwischen deutlich gefüllt und der Pit ist in vollem Gange. Ich traue mich noch nicht so wirklich und bleibe erstmal bei meinem Freund. Der ist schon Mitte 50 und seine Pogo Zeiten liegen bereits etwas länger zurück, daher sehen wir uns während der Konzerte sonst eher selten. Insofern auch mal eine schöne Abwechslung.

Bei meiner Recherche nach dem Konzert stelle ich fest, dass es die Band auch schon seit Anfang der 1980er Jahre gibt. Das merkt man, denn Murphy’s Law wirken perfekt eingespielt.

Agnostic Front

Nach einer ca. 30 minütigen Umbaupause ist es dann soweit und Hardcore Legende Vinnie Sigma kommt als erster auf die Bühne, der Rest folgt dann wenig später und kurz bevor es „knallt“ betritt Sänger Roger Miret die Bühne. Agnostic Front legen los und es ist förmlich eine Explosion, die sich jetzt vor der Bühne abspielt. Ich will nicht länger am Rand stehen und entscheide spontan, mitten rein zu gehen.

Das Publikum ist super! Es wird zwar hart gekämpft und sich nichts geschenkt, aber klassische Vorurteile von „Crowd Killing“ bestätigen sich – zumindest aus meiner Sicht – in keiner Form. Auch das gelegentlich Abklatschen und Angrinsen ist überall zu sehen, ich fühle mich sehr wohl und lasse mich einfach treiben.

Gegen Mitte des Sets kommt mit For my Family einer meiner Lieblingssongs der Band. Allgemein ist es eine echt gute Mischung, aus neuen und alten Songs. Zwischendurch lockert Vinnie die Stimmung etwas auf, mit seinem Gassenhauer Paulie the Beer Drinking Dog. Ein 50 Sekunden Song ohne harte Riffs, mit ironischen Text und markanter Stimme, eines Mannes, der so gar nicht singen kann, aber augenscheinlich sehr großen Spaß daran hat.

Danach knallt es allerdings direkt wieder mit Crucified. Inzwischen ist der Sänger von Murphy’s Law mit auf der Bühne und zu Gotta Go kommen dann noch die Protagonisten von Violent Way dazu. Ich hab wirklich keiner Ahnung, wie es der Sänger der Oi Band bei gefühlten 50 Grad in seiner Bomberjacke aushält, ohne auch nur ins Schwitzen zu kommen. Sein Gesicht ist regungslos, aber sein Kopf nickt anerkennend im Takt. Währenddessen geben wir in der Crowd alles. Es ist einfach so ein geiler Song, bei dem man einfach komplett eskalieren muss. Auffallend ist die Häufigkeit von Circle Pits an diesem Abend.

In der Zugaben covern die Agnostiker dann noch unter anderem Blitzkrieg Bop von den Ramones für einen letzten wilden Tanz. Nach ungefähr 70 Minuten ist Schluss und mein Shirt standesgemäß völlig durchgeschwitzt.

Epilog

Ich verkneife mir heute den Gang zum Merchandise-Stand, denn Konzerte sind leider echt ein teures „Hobby“ geworden. Inzwischen denke ich dann wirklich, lieber ein Shirt weniger kaufen und dafür ein Konzert mehr sehen. Denn es gibt sie schließlich immer noch, diese kleinen Independent Konzerte, die in Sachen Ticket Preise noch bezahlbar sind.

Natürlich sind gut 30 Euro für eine Karte (wie heute Abend) auch eine Menge Geld, das man erstmal über haben muss. Trotzdem finde ich es wichtig diese Art von Gigs zu unterstützen. bevor ich hunderte von Euros für Linkin Park und Co. ausgebe, gehe ich lieber zu 3-4 kleineren Konzerten.

Zudem ist einfach alles ein bisschen intimer. Die Bands und wir waren an diesem Abend quasi eins. Vinnie Stand schon beim Einlass vor der Halle und hat ganz locker mit den Fans geschnackt. Auch das Publikum ist einfach greifbarer und nicht so anonym wie in einer großen Mehrzweckhalle. Mich hat der Abend sehr begeistert und ich hatte großen Spaß. Zudem riesen Respekt an Vinnie und Roger, wie lange sie das schon machen und das mit ungebrochener Energie. An dieser Stelle möchte ich den Film The Godfathers of Hardcore empfehlen, eine Doku über die Geschichte und das Tour Leben von Agnostic Front. Sie haben es nicht immer leicht gehabt. Nicht zuletzt das aufwachsen im damaligen New York wird sehr spannend beschrieben und auch krass zu sehen, wie krank Roger körperlich schon gewesen ist. Trotzdem ist er immer noch da und wirkt auf mich absolut fit. Gibt mir irgendwie Hoffnung für die Welt. Man spürt einfach bei den beiden, dass sie das ganze aus Liebe tun.

Das tat richtig gut heute Abend. Vor dem Gig plagten mich noch eine Gewisse Ohnmacht und auch Frustration über das aktuelle Weltgeschehen. Nach dem Konzert sind diese Gedanken vorerst wie weggeblasen, wie nach einer Schocktherapie. Wichtig, dass solche Freiräume erhalten bleiben, in denen man sich auf „sportlicher Ebene“ messen kann. Besser als im echten Leben aus Frust anderen Menschen etwas anzutun. Eine Veranstaltung bei der es völlig egal ist, wer du bist, was du machst und wo du herkommst. Hilfst du mir auf, wenn ich im Pit am Boden liege, dann bist du okay. Natürlich habe ich nach diesem Abend blaue Flecken an den Armen, aber ansonsten ist alles noch dran. Das miteinander im Pit fand ich wieder total toll. Ich hab so das Gefühl, dieser Abend könnte der Anfang einer echte Leidenschaft für dieses Genre sein.

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