Meine letzten 10 Tage waren äußerst unschön. Schon von klein auf begleitet mich das Thema Mittelohrentzündung. Ein paar Jahre hatte ich zwischenzeitlich Ruhe. Inzwischen bekomme ich eigentlich jedes Jahr wieder mindestens eine und letzte Woche war es wieder soweit.
Nach zwei Konzerten die ich absagen musste, traue ich mich heute zum ersten mal wieder „auf die Piste“. Auch wenn das Ohr noch nicht wieder bei 100 Prozent ist, es muss heute einfach sein. Ich hab mich so auf Cecilia – die Sängerin der „Baboon Show“ – und Co. gefreut. Was bleibt ist eine unterschwellige Sorge, aber auch ein großer Trotz. Der Trotz siegt und wir machen uns auf den Weg zum Spielbudenplatz.
Das Docks ist der größte herkömmliche Musikclub in Hamburg, mit einem Fassungsvermögen von 1250 bis 1500 Zuschauern. Optisch ähnelt es, wie vom Namen her zu vermuten, den Innenräumen eines Schiffes. Die Toiletten sind quasi unten im Keller (vom Foyer) und die Garderobe ist oben auf der Tribüne. Die Treppe hoch zur Garderobe und die Treppe runter zum Klo sind direkt gegenüber zueinander. Dies sorgt vor und nach der Show gerne mal für etwas Chaos. Wenn mal allerdings (wie wir heute) pünktlich da ist, ist man seine Jacke in der Regel schnell los. Das Personal am heutigen Abend macht auch einen super Job.
Als ich mit der Garderoben Marke in den eigentlichen Konzertsaal trete, haben sich meine Mutter und ein guter Freund von mir schon einen sehr guten Platz am Rand, auf zwei Stufen gesucht. Kurz erscheint mein Schutzengel und rät mir bei ihnen zu bleiben. „Du bist gerade erst vom Antibiotika runter, heute kein Pogo“. Da lässt sich mein kleiner Punk Rock Teufel natürlich nicht bieten, kickt den Engel mit grober Gewalt von meiner Schulter und brüllt mir ins Ohr : „Punks not Dead ! Du gehst jetzt sofort nach vorne in die Mitte und gehst Pogen, als wenn es kein Morgen mehr gibt“.
Gesagt getan. Es ist immer wieder faszinierend und schön, dass man sich mit manchen Freunden und Bekannten gar nicht verabreden muss. Schon nach wenigen Minuten vorne wird mir 4-5 Mal auf die Schulter geklopft und es gibt Umarmungen. Man kennt und schätzt sich bei uns in Hamburg.
Gegen 20 Uhr geht es los mit Blood Command aus Bergen in Norwegen. Dieses mal hatte ich mehr als genug Zeit, um mich vorzubereiten und hatte mir in den letzten Tage bereits wiederholt deren Alben Praise Armageddonism und World Domination angehört. Eine sehr wilde Mischung. Soundtechnisch geht es für meine Begriffe schon bei den meisten Songs in Richtung Hardcore. Allerdings gibt es auch immer mal wieder Pop, Electro und Metal Elemente. Auf den Alben gibt es sogar teilweise echte Balladen wie Losing Faith die endgültig beweisen, was die Sängerin für eine tolle Stimme hat. Optisch bedient die Band durchaus einen gewissen Trash Vibe, inspiriert von 80er Jahre Action Filmen wie „Blood Sport“.
Textlich geht es viel um Liebe, Hass und Rache, teilweise in relativ abstrakter Form. Viel bedeutender für die Qualität ist aber wie das ganzen vorgetragen wird. Ich bin auf Platte schon beim ersten hören schockverliebt in die transportierte Wut und Attitude der Sängerin Nikki Brumen. Das ist genau die Musik, die einem hilft aus einer schlechten Phase rauszukommen.
Heute Abend auf der Bühne kommt diese Energie von der ersten Sekunde super rüber. Nikki schreit sich die Seele aus dem Leib und springt auf der Bühne auf und ab, wie man es von Amyl an the Sniffers kennt. Ironischerweise hat sie, wie Amyl, australische Wurzeln. Wir werden gefühlt mit jedem Song zu einem Circle Pit aufgefordert. Zumindest unser harter Kern aus 6-8 Leuten kommt dieser Aufforderung auch nach. Nikki lässt es sich nicht nehmen während des gefühlt 30 Minuten Set zwei mal Stage Diving zu machen.
Thematisch werden heute nur die harten Songs gespielt. Ich hoffe sehr, die Band mal in einem etwas intimeren Club-Rahmen erleben zu dürfen, mit einem kompletten Set.
Der Sound ist leider bei dieser ersten Band des Abends noch nicht so gut. Dies trübt meine Begeisterung absolut nicht, Blood Command ist eine Band, die sofort einen festen Platz in meinem Herz erobert.
Nun geht es weiter mit Bad Cop/Bad Cop, den vier Damen aus Südkalifornien. Unter Vertrag sind sie beim legendären Label „Fat Wreck Chords“ von Fat Mike. Das merkt man dem Sound durchaus an. Es gibt melodischen und ziemlich politischen Punk Rock in der Tradition von Bands wie zum Beispiel Bad Religion. Von dieser Band hatte ich mir vorher die Alben Not Sorry und The Ride angehört. Es geht um Themen wie Feminismus, die amerikanische Regierung, Flüchtlingskrisen oder auch um mentale Krisen, wie die überstandene Suchterkrankung von Sängerin Stacey Dees.
Live finde ich es einen schönen Touch an diesem Abend, dass gefühlt alle vier Mitglieder (Stacey Dee am Gesang, Alex Windsor an der Gitarre, Linh Lee am E-Bass und Myra Gallarza am Schlagzeug) gesangstechnisch mitmischen. Es gibt die ersten Moshpits in der Mitte und ich fühle mich wohl.
Dann kommen klare und unmissverständliche Ansagen der Band gegen Donald Trump.
Mit dem Song Breastless wird die Krebserkrankung der Sängerinnen thematisiert, eingeleitet von einer kurze Ansage. Ein echter Gänsehautmoment, da sie nach aktuellem Stand wieder krebsfrei leben kann.
Mit Simple Girl kommt dann auch noch mein bisheriger Lieblingssong der Band und ich begrabe endgültig alle gute Vorsätze in Sachen körperlicher Betätigung.
Gegen 22 Uhr entert der schwedische Headliner The Baboon Show die Bühne. Sofort wird es deutlich enger vor der Bühne und schon früh im Set gibt es mit You Got a Problem Without Knowing It den ersten Überhit und das Publikum explodiert. Auffällig ist allerdings, dass der Moshpit deutlich kleiner als bei vergleichbar großen Punk Bands ist. Viele wollen auch einfach nur in Ruhe das Konzert schauen. Allgemein herrscht eine sehr entspannte Stimmung, trotz eines relativ hohen Alkohol-Pegels im Publikum.
Für alle die, welche die Band noch nicht kennen: Textlich sind viele der Songs nicht wirklich tiefgründig. Wie schon bei Blood Command besteht die Hauptqualität darin, wie Cecilia die Songs rüberbringt. Nämlich mit einer Urgewalt, die einfach seines gleichen sucht. Die Frau hat so einen Druck in der Stimme, dass man sie wohl an diesen Abend gefühlt in ganz Hamburg hört. Und auch in Sachen Bühnenpräsenz macht ihr auch so schnell keiner was vor. Sie tanzt wie ein Flummi über dir Bühne und lässt sich 4-5 Mal an diesem Abend durchs Publikum tragen. Die Frau hat hat fitnesstechnisch scheinbar eine endlose Kondition und macht nebenbei auch mal ein paar Liegestütze.
Die ganze Band versprüht allerbeste Stimmung mit Niclas Svensson am Schlagzeug, Frida Ståhl am Bass und Simon Dahlberg an der Gitarre. Letzterer erweist sich als guter Ersatz für den 2023 ausgeschiedenen Håkan Sörle.
Ein absolutes emotionales Highlight kommt dann mit dem Song Gold, den Cecilia mitten im Publikum singt. Eine Ballade vom letzten Album God Bless you all.
Politisch wird es gegen Ende mit Same Old Story, einem Arbeiter Song mit revolutionären Touch. Laut meiner Recherche war der ursprüngliche Songtext auf schwedisch und verfasst von der Band Knutna nävar, veröffentlicht in den 70er Jahren. Übersetzt ins englische von der Baboon Show und leider aktueller den je, ein guter Moment um die Faust zu ballen. Die letzten Zeilen vom Song beschreiben die Stimmung des Werkes sehr gut:
Even though I’m old and
Grey I never will adjust
May the struggle live, there
Is more to give cause
The future belongs to us
Dem ist nichts hinzuzufügen !
In der Zugabe gibt es dann unter anderem noch Holiday und Me, Myself and I.
Ganz am Schluss darf natürlich Radio Rebelde nicht fehlen, eine absolute Punk Rock Hymne. Es ist ein Song über Zusammenhalt und Freundschaft, der live immer eine ganz eigenen Energie entfesselt. Ein letzter Stage Dive von Cecilia und ein letztes mal alle zusammen singen:
You are not alone
You are not alone
Radio Rebelde, Radio Rebelde
Welcome to my home
When you are on your own
Radio Rebelde, Radio Rebelde
Dann ist es vorbei.
Ein sehr abwechslungsreicher Abend voller Adrenalin nimmt sein Ende. Ein Abend an dem wirklich alle drei Bands sowas von abgeliefert haben. Das Ohr lebt noch und ich bin sehr glücklich hingegangen zu sein. Es ist immer wieder unglaublich toll, was einem so ein Abend mental an Kraft gibt.